Mittwoch, 13. Oktober 2010

Markowitz trifft auf Compliance

Ich erhielt in der Vergangenheit hin und wieder verdeckt den Hinweis, dass meine Blog-Themen zwar sehr praxisnah sind, im Inhalt aber zuweit an der Oberfläche bleiben. Dem kann ich nichts entgegnen. Leider aber fehlt mir die Zeit, diese Beiträge mit tiefen Details zu bestücken, zumal diese nicht ohne weitere Abhandlungen und Erklärungen verständlich wären. Weiter stell ich mir die Frage, ob solch lange Beiträge von Ihnen überhaupt gelesen würden. So bleibt es vorerst bei Beiträgen, welche der Horizonterweiterung dienen und hoffentlich den einen oder anderen Gedankengang von Ihnen veranlassen wird. Bis auf diesen vorliegenden Beitrag. In diesem Beitrag möchte ich für einmal konkrete Beispiele und Antworten auf Fragestellungen liefern.

Die Portfoliotheorie im Überblick
Herr Henry M. Markowitz veröffentlichte im Jahr 1952 seine Portfoliotheorie als Dissertation. 1990 erhielt er dafür den Nobelpreis der Ökonomie. Die Portfoliotheorie von Markowitz gehört zur Kapitalmarkttheorie. Über den Inhalt und die Zielsetzung der Portfoliotheorie lassen sich zwei Kernaussagen machen: Durch gute Diversifikation lässt sich das unsystematische Risiko gegen null reduzieren. Entsprechend geht man nur noch das systematische Risiko ein. Ein Ziel ist demnach die Risikodiversifikation. Während sich das Titelrisiko nicht linear zum Portfoliorisiko verhält, hat die Titelrendite eine lineare Beziehung zur Portfoliorendite. Ein weiteres Ziel ist demach die Nutzenoptimierung. Zwischen diesen beiden Zielen gibt es natürlich auch Grenzen, wo es zu einem Zielkonflickt kommt: Nur mit dem Marktrisiko lässt ich längerfristig keine höhere Rendite als die des Marktes realisieren. Es gibt drei relevante mathematische Kenngrössen: Portfoliorisiko (w^T*Ω*w), Portfoliorendite (w^T*μ) und die Anlegerpräferenz (meist als mathematische Funktion).

Compliance-Themen bei der praktischen Umsetzung
Will man die Portfoliotheorie als Bank in der Praxis umsetzen und bspw. als Produkt den Kunden anbieten, so müssen ein paar wichtige Anfordrungen/Restriktionen beachtet und eingehalten werden. Die Portfoliotheorie kann man als Bank sinnvollerweise nur im Rahmen eines Vermögensverwaltungsauftrages (VVA) umsetzen.

FINMA-RS, Eckwerte zur Vermögensverwaltung
  • Nicht wirtschaftliche Umschichtungen (sog. Churning) sind zu unterlassen.
  • Der Vermögensverwalter stellt sicher, dass Anlagen dauernd mit den Anlagezielen und -beschränkungen übereinstimmen.
  • u.v.m.

Richtlinie für Vermögensverwaltungsaufträge der SBVg
  • Es braucht eine profesionelle Organisation (u.a. Gewaltentrennug).
  • Die Bank vermeidet Klumpenrisiken in den VAA durch ausreichende Diversifikation.
  • Aufgrund eines VVA dürfen keine Kredite aufgenommen oder potentielle Soll-Positionen eingegangen werden.

FINMA-RS, Operationelle Risiken Banken, Anhang 1, Qualitative Grundanforderungen

Dort steht im Abs. 4: „Banken müssen die operationellen Risiken aus all ihren Aktivitäten, Produkten, Prozessen und Systemen identifizieren und beurteilen können. Vor einer Veränderung der Struktur von Aktivitäten, Produkten, Prozessen und Systemen sind diese mit Blick auf ihre operationellen Risiken adäquat zu beurteilen.“ Die nachfolgende Abbildung enthält einen möglichen Risikokataster nach den Kategorien von Anhang 2 des besagten Rundschreibens. In der letzten Spalte stehen Beispiele und Bemerkungen in Bezug auf die Umsetzung der Portfoliotheorie als VVA (zum Vergrössern anklicken):



Vertrag
Beim Vertrag geht es u.a. darum, Haftungsrisiken der Bank auf Grund von Anlageschäden zu beschränken oder gar auszuschliessen. Ein Anlageschaden im vorliegenden Sinne entsteht durch eine schuldhaft rechtswiedrige Einwirkung auf die Willensbildung des Anlegers vor dessen Entscheid. Schadenersatz kann gestützt auf einen Vertrag, aber auch ausservertraglich geltend gemacht werden. In der Regel entstehen solche Schäden durch fehlerhafte Anlageempfehlungen, welche für den Anleger nicht als solche erkennbar waren. Für den Schadensnachweis braucht es indes zwei Kausalitäten. Die haftungsbegründete und die haftungserfüllende. In der Praxis ist ein solcher Nachweis i.d.R. Schwer zu erbringen, insb, der haftungserfüllende. Denn für einen Wertverlust an der Börse ist häufig mehr als nur ein Faktor verantwortlich. Der Haftungsausschluss mittels Vertrag ist besonders in den AGB sehr heikel. Liegt der Ausschluss ausserhalb dem, was allgemein zu erwarten war, kann sich ein Geschädigter auf die Ungewöhnlichkeitsregel stützen (WEBER, Anlagerecht, 2007). Für eine Bank als konzessioniertes Gewerbe ist in diesem Zusammenhang auch OR Art. 100 Abs. 2 relevant: "Auch ein zum voraus erklärter Verzicht auf Haftung für leichtes Verschulden kann nach Ermessen des Richters als nichtig betrachtet werden, wenn [...], oder wenn die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes folgt."

Praktische Problemstellungen und Lösungsvorschläge
Jetzt wollen wir zu ein paar ausgewählten praktischen Problemestellungen und Fragen konkrete Lösungsansätze anschauen:

Teilbarkeit von Wertschriften
Wertpapiere sind nicht teilbar. Meistens geht der zu investierende Betrag nicht 100 % mit der möglichen Aktienstückelung einher.
Lösungsansatz:
Die risikoreichsten Wertschriften werden iterativ untergewichtet, bis der zu investierende Betrag auf die Gewichte teilbar ist.

Unterschiedliche Währungen
Wertpapiere sind gerade bei guter Diversifikation in unterschiedlichen Währungen. Dies muss zumindest bei der Gewichtung berücksichtigt werden.
Lösungsansatz:
Die geschätzten Kursstände werden in CHF umgerechnet, wenn diese in einer Fremdwährung vorliegen. Dadurch werden diese bei den Gewichtungen berücksichtigt.

Verkaufsrestriktionen
Es gibt für gewisse Wertpapiere (insb. bei Fonds) Verkaufsrestriktionen. Diese müssen berücksichtigt werden.
Lösungsansatz:
Wir bilden für jedes Land mit Restriktionen eigene Portfoliomengen. Dadurch kann für betroffene Anleger das Portfolio nur aus der Menge jener Portfolios selektiert werden, welche keine Titel mit Verkaufsrestriktionen für den Anleger enthalten.

Strategische Asset Allocation
Die Vorgaben der Vermögensaufteilung gemäss der strategischen Asset Allocation müssen eingehalten werden.
Lösungsansatz:
Wir berechnen für jede Asset-Klasse separat die effizienten Portfolios. Anschliessend selektieren wir für jede zugeteilte Asset-Klasse das optimale Portfolio und investieren gemäss Gewichtung der Asset-Klassen in jedes dieser optimalen Portfolios. Alle Portfolios zusammen ergeben das "das" optimale Portfolio für den Anleger unter Berücksichtigung der Vermögensaufteilung nach Asset-Klassen.

Unwirtschaftliche Umschichtungen
Unwirtschaftliche Umschichtungen sind verboten. Dies muss bei der Umsetzung besonders berücksichtigt werden.
Lösungsansatz:
Pro Portfolio kann ein Prozentsatz definiert werden. Dieser steht für die maximale Abweichung zum berechneten optimalen Portfolio. Wird diese Limite überschritten, muss ein Rebalancing zum neuen Portfolio stattfinden. Innerhalb dieser Limite wird kein Rebalancing gemacht.

Ungleiche historische Zeitreihen
Nicht von jedem Wertpapier gibt es die gleiche historische Zeitreihe. Bei der Berechnung der Varianzen und Kovarianzen muss dies Berücksichtigt werden, wenn Tagesschlusskurse verwendet werden sollen, was ich empfehle.
Lösungsansätze (dieses Problem kann auf zwei Arten gelöst werden):
1) Es werden die Renditen für jeden Valor anhand aller vorhandenen Kursdaten für diesen Valor berechnet. Für die Varianzen und Kovarianzen werden dann nur jene Renditen berücksichtigt, für welche (Tag) es bei jedem Valor eine Rendite gibt;

2) Es werden zuerst alle Tage gesucht, bei welchen es für jeden Valor einen Kurs gibt. Anschliessend werden für für jeden Valor nur Renditen jener Tage berechnet (analog für das Risiko).

Ich habe keine wissenschaftliche Untersuchung dazu gefunden, welche Variante die besseren Ergebnisse liefert. Ich empfehle aber die erste Variante, und zwar aus folgenden drei Gründen:
1) Jede verwendete Rendite ist transparent und kann einzeln nachvollzogen werden, ohne dass man Kenntnis der virtuellen Datumsreihe hat;

2) Wenn neue Valoren dazu kommen, muss man nicht sämtliche historische Renditen neu berechnen, sondern nur jene des neuen Valors. Kommen bei der Variante 2 neue Valoren hinzu, müssen die Renditen neu berechnet werden. Dies führt zu einem instabilen Verhalten, weil je nach verwendeter Valoren, für ein und denselben Valor am gleichen Tag andere Renditen verwendet werden.

Unterschiedliche Perioden
Die Portfoliotheorie ist Perioden bezogen. Aber nicht jeder Anleger wünscht dieselbe Periode. Entsprechend müssen verschiedene Perioden angeboten werden können.
Lösungsansatz:
Wir verwenden Tagesschlusskurse und berechnen die Grunddaten auf Grund von diesen. Anschliessend können wir die Rendite und Risiko mathematisch auf die jeweilige Periode umrechnen.

Risikoloser Zinssatz
Verwendet man in Portfolios einen risikolosen Zinssatz, so ist zu beachten, dass man diesen Zinssatz in der passenden Währung benutzt. Nicht jede Währung hat den gleichen risikolosen Zinssatz.

Schlussbemerkungen
Um die Portfoliotheorie in der Praxis als Bank umzusetzen, braucht es ein gut harmonierendes interdisziplinäres Vorgehen. Dabei müssen auch die Compliance-Verantwortlichen rechtzeitig involviert werden und aktiv bei der Erarbeitung der Anforderungeskatalogen mitwirken.

Download Praxisarbeit
Die hier beschriebenen Anforderungen und Lösungsansätze habe ich im Rahmen meiner Praxisarbeit zum dipl. Bankwirtschafter HF im Frühjar 2009 erarbeitet. Wenn Sie Interesse an dieser Arbeit haben, können Sie diese hier kostenlos herunterladen.

Keine Kommentare: